Hermann
Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Ein fragmentarisches Tagebuch aus
Deutschland, Holland, England, Wales,
Irland und Frankreich, geschrieben
in den Jahren 1826 bis 1829
Vorwort
des Herausgebers
Schon seit mehreren Monaten hatte mich mein Verleger um die
Übersendung der zwei letzt-ersten Teile der Briefe eines
Verstorbenen gemahnt, und doch war es mir fast unmöglich,
sein Verlangen zu erfüllen, weil mir in den verworrenen,
oft auch nicht vollständigen Manuscripten zu vieles dunkel
oder ganz unverständlich blieb.
In
dieser Not verfolgte mich unablässig der sonderbare Gedanke:
ob es nicht möglich sei, mit dem Verstorbenen noch einmal
mündlich zu verkehren, und so unverständig,
ja wahnwitzig manchem das vorkommen mag diese Unterredung
hat dennoch wirklich stattgefunden. Gegen facta gehalten,
müssen aber alle Theorien verstummen.
Wie
sich so Unerhörtes jedoch höchst wunderbarerweise
gestaltet und zugetragen, werde ich hier kürzlich erzählen.
Die
unerwartet günstige Beurteilung, welche vom Gipfel des
Parnasses, wie belebender Resurrektionstau, auf die Totenblätter
gefallen war, hatte meine Sehnsucht nach dem Freunde, um ihm
wo möglich so erfreuliche Kunde mitzuteilen, noch mehr
als je gesteigert, und ich begann eines Abends schon, mich
mit heidnisch-kabbalistischen Beschwörungen zu beschäftigen,
als ein ärztlicher Freund mich noch zur rechten Zeit
unterrichtete, wie ich weit christlicher und schneller zum
Zwecke kommen könne.
Der
Leser ahnet wohl schon, auf welchen Weg er mich führte.
Ja, er sandte mir jenes außerordentliche Buch, jene
neueste Offenbarung: Die Seherin von Prevorst.
Man
denke sich, wie in so günstiger, empfänglicher Stimmung
jedes letzte Vorurteil des gesunden Menschenverstandes schwinden,
wie der überirdische Funke gewaltsam zünden, und
gleich einem Blitze mein Inneres erleuchten mußte! O
ihr edlen Wohltäter der Menschheit, rief ich, ebenso
triumphierend als gläubig, aus, Dank Euch, das
Geisterreich ist von Neuem erschlossen, und ist auch die erste
Seherin in ihrem Berufe gestorben, warum sollte ihr nicht
bald eine zweite folgen? Was einmal da war, kann auch wieder
kommen, ja trügt mich die süße Hoffnung nicht,
so ist diese Zweite schon gefunden!
Dieser
Ausruf, geneigter Leser, hatte seinen guten Grund, denn schon
seit geraumer Zeit lebte in meiner Nähe ein Mädchen,
deren wunderbare Reizbarkeit des Nervensystems in der ganzen
Gegend fast zum Sprichwort geworden war. Sie hatte früher
als fromme Nonne im B... Kloster zu B... gestanden, und dort
seltsame Fata erlebt, wo sie, bei allen echt weiblichen Eigenschaften,
zugleich vielfache Gelegenheit gehabt, auch eine wahrhaft
männliche Entschlossenheit zu bekunden. Man raunte sich
sogar ins Ohr, daß sie im Verlauf gewisser Verfolgungen
mehr als einmal vergiftet worden; durch schleunigen Gebrauch
der Magenpumpe jedoch immer glücklich wiederhergestellt
worden sei. Wegen dieser geheimnisvollen Avantüren hatte
man ihr den lugubren Namen des Nonnerich beigelegt, ihr eigentlicher
Name war aber Theresel, und ihr Geburtsort Böhmen. Nach
Aufhebung des Klosters zog sie sich zu einer mütterlichen
Freundin zurück, und lebte jetzt, nach dem Hingange dieser,
still für sich, nur den Mysterien eines glühenden
Pietismus, und den Werken der ausgedehntesten Menschenliebe
rücksichtslos hingegeben.
Dieses
hochbegabte Wesen hatte sich so oft im Zustande freiwilliger
magnetischer Ekstase befunden, daß durch eine, nach
den Regeln der Kunst fortgesetzte, wissenschaftliche Manipulation,
die höchsten Resultate unfehlbar erwartet werden durften,
und an ihrer Einwilligung war, bei jener bekannten Richtung
ihres Naturells, kaum zu zweifeln.
Ich
verlor also keinen Augenblick, und schrieb sogleich an meinen
Freund, den Doktor Ypsilon, einen sehr gebildeten und gemütlichen
Mann, der auch, wo es Experimente betrifft, keiner unpassenden
Gewissenhaftigkeit Raum gibt, und bat ihn dringend um seine
beste Hilfe, das große Resultat hervorzubringen, welches
ich beabsichtigte.
Doktor
Ypsilon war auch, wie ich erwartet, für mein Projekt
sofort Feuer und Flamme. »Verlassen Sie sich auf mich«,
erwiderte er, »und sollte ich selbst darüber den
Kopf und Theresel das Leben verlieren, so muß sie doch
bon gré mal gré den höchsten Grad des Hellsehens
erreichen, und hinter der großen Seherin in keiner ihrer
wunderbaren Fakultäten zurückbleiben.«
In
der Tat segnete der Himmel unsern guten Vorsatz auf das sichtlichste.
Der Erfolg übertraf noch die kühnsten Wünsche,
denn ehe sechs Wochen vergingen, sah Theresel schon oben und
unten, rechts und links, geistig und körperlich, durch
sich und andere hindurch, und Geister aller Taillen und Farben
gingen bei ihr aus und ein, wie in einer Schenke. Man muß
zwar gestehen, es waren nicht immer die geistreichsten. Wir
hatten sogar in diesem Punkt Unglück, aber ein sonderbares
Vorurteil dieser Erde ist es auch, zu glauben: daß alle
Geister Geist haben müßten gewiß ebenso
wenig, als alle Menschen menschlich sind. Gibt es doch sogar
dumme Teufel, warum sollte es nicht auch dumme Geister geben!
Dem
sei nun wie ihm wolle, kurz, der von mir so lang ersehnte
Zeitpunkt war da, der Zweck aller Mühe erreicht, und
bei der ersten besonders aufgeregten Stimmung der Prophetin,
legte ich ihr meinen Wunsch auf den Magen, das inbrünstige
Wollen aller meiner verschiedenen Seelen und Geister: den
verstorbenen Busenfreund noch einmal zu sehen.
Sie
besann sich eine Weile, und sagte dann: »Was verlangst
du Lieber! wisse, L... kann nicht anders als zu Pferde erscheinen.«
»Comment«, rief ich erstaunt, »à
cheval wie Napoleon?« »Nicht anders, mein Freund,
so wollen es die unwandelbaren Gesetze des Zwischenreichs,
denn L..., erinnere Dich, hatte unter vielen andern Fehlern
auch den, ein viel zu leidenschaftlicher Reiter zu sein, und
wie bei meiner Seelen-Freundin von Prevorst alte Ballvortänzer
auch jetzt noch tanzend umherhüpfen müssen, so darf
auch L... bei mir nur reitend eingelassen werden. Seine Erscheinung
wird fürchterlich sein, ich sage es Dir vorher, waffne
Dich mit Mut, doch Du hast es gewollt, ich rief ihn, und höre...
da kömmt er schon!« Obgleich bereits passabel an
den Umgang mit der andern Welt gewöhnt, durchrieselte
doch ein kleiner Schauer mein Gebein, als ich jetzt
Tap... Tap... Tap... vor der Türe erschallen
hörte, und gleich dem Comthur in Don Juan
eine dämmernde, furchtbare Gestalt, mit dem Haupte schrecklich
nickend, langsam ins Zimmer ritt.
Es
schien wirklich, als habe mein Freund, zur Strafe für
seine einstige Eitelkeit: immer die schönsten Pferde
haben zu wollen, jetzt das magere Tier der Apokalypse besteigen
müssen, ein fahles Ungeheuer, dessen Nüstern stahlblaue
Dämpfe von sich stießen, und dessen Augen wie Feuerräder
im Kopfe rollten. Daß es übrigens bei seinen ungeheuren
Dimensionen, die gewiß dem trojanischen Pferde nichts
nachgaben, dennoch in unsrer kleinen Stube Platz fand, war
gewiß ein so offenbares Wunder, daß es auch dem
Ungläubigsten jeden Gedanken an mögliche Täuschung
der Sinne benehmen mußte. »O teurer Freund!«
rief ich zitternd, noch ganz außer mir vor Schrecken
und Freude, »bist Du es wirklich? Ja, jetzt erkenne
ich schon wieder die alten lieben Züge, und, bei allen
Geistern des Zwischenreichs, wirklich besser konserviert,
als ich erwartete. Wieviel, o Freund, habe ich mit Dir zu
reden, wieviel zu melden, wieviel zu erfahren, doch vor allem
höre jetzt das: Was von Dir auf Erden allein zurückblieb
Deine posthumen, harmlosen Briefe sie haben
mehr Gnade daselbst gefunden, als Du je im Traume gehofft,
und dürfte ich mich etwas orientalisch ausdrücken,
was besser zu Deiner exotischen Erscheinung paßt, so
würde ich sagen: daß aus dem unansehnlichen Feuerstein
der edelste Stahl einen helleuchtenden Rubin geschlagen, daß
die Sonne das Stückchen Glas durch ihre Strahlenkraft
einen Augenblick zum Brennspiegel erhoben hat mit einem
Wort, um plan zu sprechen...«: Hier ergriff ich ein
schon in der Tasche bereitgehaltenes Papier, und las, wie
auf der Tribüne der französischen Deputiertenkammer,
den Rest meiner Rede, und die Nr. 59 der Jahrbücher für
wissenschaftliche Kritik, dem erstaunten Geiste vor1).
Dieser
(ein sanft aschgrauer, also nach den Regeln der Uniformierung
des Zwischenreichs, schon beinahe halbseliger) war bei der
ersten Nennung des salomonischen Namens etwas erblaßt,
dann schnell errötet, und hörte hierauf, ohne ein
Wort zu sprechen, dem Anschein nach tief in sich versunken,
andächtig zu.
Als
ich geendet, entschwebte seinen Lippen ein behaglicher Seufzer,
und lächelnd lispelte er (ganz wie im Leben): »Auf
Erden wollte mir das Glück nie wohl, Heil aber sollte
mir dennoch von daher, hier im Zwischenreich widerfahren!
Wandelte ich noch irdisch umher, mir würde sein, wie
einem Türken, der, in der Menge verborgen, plötzlich
einen Gesandten des Sultans auf sich zukommen sieht, um ihn
mit dem Ehrenpelz zu bekleiden, und zum Pascha einiger Roßschweife
zu ernennen. Lächle nicht über die scheinbare Eitelkeit
dieses Vergleichs, mein guter Hermann; denn es steht mir ja
wohl an, stolz zu sein auf Jupiters Lob, und es ist sogar
Pflicht, meine eigne Bescheidenheit hier gefangen zu nehmen
denn wäre es nicht anmaßend, mich selbst
richtiger schätzen zu wollen als Er?
Ist
es mir aber vergönnt, nun auch dem Gehörten einige
demutsvolle Worte zu entgegnen, so muß ich vor allem
mein Staunen ausdrücken, wie der achtzigjährige
Greis so jugendlich frisch noch in jeden mutwilligen Scherz
des Weltkindes, in jede Kinderfreude an der Natur so teilnehmend
freundlich einzugehen vermag, und wie hoch er dabei dennoch
in seiner Dichter-Glorie oben über uns schwebt, und alle
Zustände der Menschen, wie einer der Herzen und Nieren
prüft, erkennt und schildert, ohne nötig zu haben,
sie selbst zu teilen, noch sie aus eigner Erfahrung sich zu
abstrahieren. Nicht richtiger hat Rhadamanth, als ich in der
Unterwelt ankam, mir im Herzen gelesen, und selbst wenn mit
wohlwollender Feinheit der gütige Meister andeutet, wie
manche heterogene Aufsätze in jenem wunderlichen Buche
wohl auch von fremder Hand sein könnten, so hat er auch
darin im Wesentlichen Recht, denn zeigte es sich auch am Ende,
daß Herausgeber und Autor nur eine Person wären,
und ein und derselbe das Ganze geschrieben (was jedoch nur
mystisch möglich sein könnte, da ich tot bin, und
Du noch lebst) so wissen wir doch, daß es auch in demselben
Individuo verschiedene Naturen geben könne, und daß,
wenn die Linke nicht wissen soll, was die Rechte tut, auch
manchmal die Linke tut, wovon die Rechte nichts wissen will.
Du,
mein treuer Herausgeber, gehst ebenfalls nicht leer aus, und
es wird Dir zum Verdienst angerechnet, daß Du offen
aber nicht aufrichtig bekanntest, wie gewisse besondere
Umstände Dich nötigten, das Ende zum Anfang zu machen,
während Du dadurch doch nur ein heilsames clair-obscur
über das Ganze breiten, und ihm, wie der Richter sagt,
einen epischen Anstrich geben wolltest. So erscheinst Du denn,
neben dem glücklichen Autor, auch als gewandter Editor,
vor Reich und Zwischenreich, uns beiden aber wird schließlich
Absolution erteilt, wenn wir auch wirklich gewagt haben sollten,
hie und da Dichtung (bescheidner, Fiktion) mit Wahrheit zu
vermischen.«
Der
Verstorbene (wie man sieht, mit ziemlicher Redseligkeit begabt)
machte Miene noch länger fortfahren zu wollen, als eine
dröhnend schallende Glocke ertönte, und ihm plötzliches
Stillschweigen auflegte. Es war, wie wir bald merkten, ein
warnendes Zeichen für ihn: sein stündliches Strafpensum
abzureisen, welches diesmal in dreimal drei Volten, in neun
verschiedenen Gangarten, rund um die Stube bestand. Es war
schrecklich anzusehen, wie der ungeheure, uns mehr als spanisch
vorkommende Tritt des höllischen Gaules ihm fast den
Atem zu benehmen schien. Noch mehr schauderten wir aber, als
jetzt der, gleich einem Kometen in elliptischen Bahnen kreisende
Schweif des Untiers, vor unsern Augen mehrere schöne
Porzellantassen (alles echte altsächsische) von einer
Konsole herabkehrte, die in Scherben auf dem Boden zertrümmerten,
ohne dennoch das mindeste Klirren vernehmen zu lassen
denn die Prevorst'schen Geister haben nicht nur die Fähigkeit,
immaterielle Klänge hervorzubringen, die materiell gehört
werden, sondern auch solche, die ihnen unangenehm oder nicht
anständig scheinen, unhörbar zu machen, ein Vorrecht
der Zwischenregionen, welches verschiedene Bequemlichkeiten
darbieten muß.
Als
mein Freund endlich wieder still hielt, und sich keuchend
den Schweiß von der Stirne trocknete, benutzte ich den
günstigen Augenblick schnell, um von neuem also zu sprechen:
»Die guten Nachrichten, die ich Dir zu bringen habe,
sind noch nicht zu Ende. Vernimm, daß auch eine andere
gewichtige Stimme in Deutschlands kritischen Gauen zu Deinem
Preise erschallte, und den eigenen Glanz Dir als wohltuende
Folie unterlegte und manche andere wertvolle Namen
sind demselben Beispiel gefolgt. Ein Freimütiger darunter,
der Dich wahrlich nicht übel kennt, obgleich er Dich
sichtlich mit einer andern Person verwechselt, hat sogar ausgemittelt,
daß Du bei aller Liberalität, doch gerade noch
genug Adelstolz besäßest (gestehe, verehrtester
Zwischengeist, er hat nicht ganz Unrecht), und dabei uns zugleich
seine Theorie vom Adel mitgeteilt, nämlich daß
dieser sein und nicht scheinen solle. Viel verlangt in der
Tat! denn, wäre nur gesagt, der Adel solle nicht bloß
scheinen, sondern auch sein, so wäre dies zwar immer
noch, in Sandomir wenigstens, unmöglich, jedoch denkbar
aber Sein ohne allen Schein, sozusagen, eine unsichtbare
Existenz, ein Licht ohne Flamme voilà qui est
difficile!, O Gott! da entfuhr mir wieder eine französische
Floskel, die, wie ich selbst fühle, zarten deutschen
Ohren doch so empfindlich sein muß! Pardon, es soll
nicht mehr geschehen.2)
Noch
schmeichelhafter ist die, in seiner reichen Bildergalerie
ausgesprochene Anerkenntnis jenes liebenswürdigen deutschen
Humoristen, der, wenn er dem Auge eine Träne entlockt,
während sie herabfällt, die Lippen schon wieder
zwingt, sie mit Lächeln aufzufangen.
Damit
Dir aber nichts Wünschenswertes fehle, ward Dir auch
von den Pharisäern einiger obskure Tadel. Ja, eine arme
Seele ist sogar auferstanden, um den Verstorbenen hienieden
mit einem schwülstigen Mischmasch anzugreifen, der jedoch
bei Freund und Feind nichts als den lebhaftesten Wunsch erregt
hat, jene Verschollene möge doch lieber ruhig schlafen
geblieben sein, statt das Publikum von neuem gähnen zu
machen. Noch mehr. Selbst mit dem großen Unbekannten
brachte man Dich in einige entfernte Berührung, indem
manche, die überhaupt heutzutage gar nicht mehr
begreifen können, wie ein Minister wohl etwas ohne seine
Räte, ein General ohne seinen Generalstab, ein Monarch
ohne sein Ministerium, allein hervorbringen könne
auch Dein Büchlein, gleich jenes Erhabnen unsterblichen
Romanen, einer ganzen compagnie größerer und kleinerer
Autoren beiderlei Geschlechts zugeschrieben, und sich, hie
und da gereizt, (denn Wahrheit tut weh) schmählig in
Unschuldige, oder gar in die bloße Luft verbissen. So
haben sich denn, lieber Toter, auf die glücklichste Weise
für Dich, Licht und Schatten aus den verschiedensten
Regionen vereinigt, um...«
»Mon
cher«, unterbrach mich hier Theresel, und ergriff verdrießlich
meinen Arm, »vergiß nicht, que tous les genres
sont bons hors le genre ennuyeux, der einzige Umstand, in
welchem ich mit meiner Freundin von Prevorst nicht harmoniere.
Es ist genug für diesmal: Ihr müßt uns jetzt
alle verlassen, denn die Zeit naht heran, wo der Geist vom
Rosse steigen wird, um die Nacht bis zum Hahnenschrei mit
mir zuzubringen. Ihr wißt, wie die unmittelbare Atmosphäre
der Erwählten seine Seligkeit um Jahrhunderte beschleunigen
kann, und es liegt mir ob, dies Werk christlicher Liebe keinen
Augenblick länger zu verschieben, so entsetzlich ich
auch dadurch geschwächt werde aber was ist mein
elender Körper gegen eine so hohe Bestimmung, gegen eine
so heilbringende Einwirkung auf das Geisterreich!«
Ehrfurchtsvoll
traten wir Lebenden zurück. Mein Freund lächelte,
fast so sarkastisch, als sei er noch ein schwarzer Geist,
sagte, indem er seine Hand küssend mir zuwinkte: »Au
revoir mon ami« und verschwand, eben als ich die Türklinke
ergriff, hinter Theresels Bettvorhängen. Sein Roß
aber wirbelte, als der angenehmste Duft von essence de bouquet,
im Kamine empor.
Auf
die Straße gekommen, sah ich, noch in halber Betäubung,
nach meiner Uhr, o horror! in der ganzen Stadt hatte es 5
Uhr geschlagen, als ich in das Haus der Seherin eintrat, jetzt
war es drei. Die Zeit also war seitdem, man schaudert, statt
vorwärts rückwärts gegangen! Brauche
ich noch zu sagen, daß ich nach dieser ersten entrevue,
nicht nur meinen Freund öfters sah, und jede von ihm
gewünschte Auskunft erhielt, sondern daß ich auch
überhaupt an dem Geisterverkehr ebensoviel Vergnügen
zu finden anfing, als mein Gehilfe, Doktor Ypsilon? Tag für
Tag mußte Freund und Feind uns erscheinen, für
ein Billiges erlösten wir manchen armen Schlucker, der
seit Jahrhunderten als Geist herumlief, weil es ihm an vier
Groschen fehlte, um eine gute Tat zu tun, und wollte ich hier
erzählen, welche Aufschlüsse uns da geworden, welche
Rätsel uns gelöst, welche überraschende Aufklärungen
wir über die Geschichte erhalten, was uns Moses und die
Propheten, die Eiserne Maske, Sebastian von Portugal,
der falsche Waldemar, Cagliostro und der Graf von St. Germain
vertraut wir endeten kaum. Es ist wahr, Theresel, die
uns oft vergebens um Mitleid anflehte, hielt es nicht aus.
Sie ruht nun auf dem Kirchhof, wie ihre große
Vorläuferin, und starb man muß es gestehen
einen elenden Tod. Aber wohl dem, der für das
allgemeine Beste sich opfert, oder auch geopfert wird. Für
die Überbleibenden ist wenigstens Beides Eins.
Doch
auch wir brachten ein Opfer, und bezahlten unsere Schuld.
Denn da wir bei jedem Experiment von neuem in der Zeit rückwärts
schritten, so hatten wir am Ende nicht bloß, wie die
Weltumsegler, einen ganzen Tag, sondern wohl mehr als Jahre
verloren, ja oft wollte es uns dünken, es seien soviel
Jahrhunderte.3)
Postscriptum
Ehe
ich von dem geneigten Leser ganz Abschied nehme, muß
ich denselben noch demütigst, im Namen meines Verlegers,
um Verzeihung bitten, einmal wegen der unerhörten Menge
Druckfehler, welche gleich Mücken, nach Sonnenuntergang,
in den früheren Teilen dieses Werkes wimmeln, und hoffentlich
in den jetzt vorliegenden nicht wieder aufleben werden; zweitens
wegen der höchst seltsamen Kupfer, die ihnen (auch als
Specimina von Stein-Druckfehlern) beigefügt wurden. Man
kennt jene hundert Abbildungen, die in ganz unmerklichen Abweichungen,
so daß zwei Blätter sich immer vollkommen zu gleichen
scheinen, dennoch gradatim den ungeheuern Sprung, von einem
ausgespannten Frosch bis zum Apoll von Belvedere zurücklegen.
Man kann wohl kaum annehmen, daß die grotesken Figuren
im Buche des Verstorbenen, in der erwähnten Galerie weiter
hinauf, als höchstens am Ende des ersten Dutzends der
Gradation, einrangiert werden könnten. Da aber die Kunst,
besonders für angenehme Kleinigkeiten, jetzt auf allen
Gassen sich feilbietet, und daher Besseres nur gewollt zu
werden braucht, um es sogleich zu finden, so habe ich den
Herrn F. G. Franckh im Verdacht, irgend etwas Geheimes, vielleicht
etwas Mystisches, oder eine mordante Satire dabei in petto
gehabt zu haben vielleicht gar einen gefährlichen
Umtrieb! in diesem Falle aber wasche ich meine Hände
in Unschuld!
Von
den zuerst erwähnten Druckfehlern sind schon die gröbsten
namhaft gemacht, leider aber bei der ersten schnellen Durchsicht
kaum die Hälfte derselben bemerkt worden. Wir erwähnen
hier nur noch, als besonders sinnentstellend, daß unter
einer Menge Noten des Verfassers: Anmerkung des Herausgebers
steht, und zuweilen umgekehrt. Die möchte den Unachtsamen
fast glauben machen, beide seien nur eine Person, wogegen
ich jedoch auf's ernstlichste protestieren muß, da ich
keineswegs gesonnen bin, mich so schnell zu den Verstorbenen
zu zählen, und auch hoffe, daß, wenigstens die
Pluralität der Leser, mir noch das liebe Leben, die
süße Gewohnheit des Daseins einige Zeit lang
gönnen wird.
Die
folgenden Briefe selbst betreffend, will ich endlich noch
bemerken, daß, obgleich sie aus den Jahren '26, '27
und '28 sind, und daher veraltet dünken möchten,
der geneigte Leser dennoch viel Anklänge mit dem Neuesten
darin finden wird, und man auch Rücksicht darauf genommen
hat, nur dasjenige von ältern Nachrichten bestehen zu
lassen, was noch jetzt ebenso wahr als gültig bleibt,
hingegen alles zu streichen, was sein Interesse für den
Augenblick schon verlor.
S...
den 1. März 1831.
*
* *
(Die
in vorstehendem Postscriptum ausgesprochenen Rügen der
Druckfehler haben in dieser neuen Auflage durch möglichst
sorgfältige Korrektur ihre Erledigung gefunden.)
Übrigens
hätte jener, gewiß von mir herzlich verehrte, deutsche
Purist doch gewiß am Ende seiner Kritik sich weit richtiger
ausgedrückt, wenn er sich herabgelassen hätte, statt
dem hier unpassenden, harten, auch nicht ganz deutschen Wort:
Skandal, das englische scandal zu gebrauchen.
Sollte
man vielleicht diese Details ebenso unglaublich und läppisch
finden, so würde uns solches Urteil sehr schmeicheln,
denn bekanntlich sind diese Eigenschaften eben die sichersten
Zeichen der Wahrheit und Authentizität. S. hierüber
das Nähere in der überzeugenden Einleitung zur Seherin
von Prevorst.