Ferdinand
Gustav Kühne: Hermann von Pückler- Muskau, Semilasso
Der "Verstorbene" hat sich in ein neues Reise-Incognito
geworfen. Er nennt diesen seinen neuen Milchbruder, dessen
Fahrten durch die Welt er beschreibt, Semilasso, und schildert
ihn als einen Mann von hoher Statur, bei der Hälfte seiner
Lebensjahre angelangt, von schlanker, wohlgeformter Gestalt,
die jedoch physisch mehr Zartheit als Stärke, mehr Lebhaftigkeit
und Gewandtheit als Festigkeit verräth. Bei näherer
Betrachtung zeigt sich an diesem Manne das Cerebralsystem
besser ausgebildet, als das Gangliensystem, und einem Phrenologen
wird es klar, daß diesem Sterblichen vom Schöpfer
etwas mehr Kopf als Herz, mehr Rationalismus als Schwärmerei
zugetheilt, und er folglich nicht zum Glück des Lebens
vom Schicksale bestimmt worden sein möchte. In seinen
Augen liegt sein ganzer Charakter; man kann sie in Zeit weniger
Secunden matt, abgestorben, farblos werden und dann plötzlich
wieder auffunkeln sehen, wenn eine humoristische Moquanterie
wie eine zirpende Grille in seinem Gehirne sich verlauten
läßt. Der permanenteste Ausdruck seiner Züge
ist jedoch eher leidend zu nennen, obwohl die Schwermuth seines
Gemüthes und eine sarkastische Bitterkeit, zu der sein
Verstand sich aufgelegt fühlt, vor der weichlichen und
saloppen Vornehmigkeit seines Wesens nicht recht aufkommen
können. Sein größtes Glück ist das Wohlbehagen
an den kleinen Zufälligkeiten und zufälligen Kleinheiten
des Lebens. Der Weg, nicht das Ziel, ist sein Genuß.
Darum dies planlose Herumschlendern in der Welt, darum diese
salonmäßige Moquanterie, die nicht zum Humor werden
will, weil sie sich die tieferen Interessen des Lebens vom
Leibe hält, oder höchstens cavalièrement
mit ihnen umspringt, als seien sie Biscuit beim Nachtisch,
das man auf dem Teller zerbröckelt, weil der gesättigte
Magen es verschmäht. Die prätentiöse Toilette
des "Weltgängers" ist ganz der äußere
Abdruck seines innern Menschen, etwas raffinirt nachlässig
und doch bei aller Verläugnung der Vornehmigkeit nicht
ohne den Anstrich von coquettem Selbstgefühl.
Wir haben in diesem Weltgänger Semilasso ganz den alten
"Verstorbenen", der im Grunde selbst sein Reisecostüm
nicht geändert hat, und dem sein Bewußtsein über
sein eigenes Wesen eben zu nichts hilft, da er sich in seinem
Mißfallen über sich selbst allzu sehr gefällt.
Diese Schilderung, die der Autor von seinem Milchbruder macht,
ist sehr offen und ehrlich; deshalb wird er eben so wenig
als der Fürst Pückler es uns verargen, wenn wir
in dies Portrait des Weltgängers unsern eigenen kritischen
Pinselstrich hier gleich mit eingetuscht haben. Mit dem Namen
Semilasso treibt der Verfasser in dem Vorworte seine gewohnten
Späßchen, womit er den Leser und sich selbst mystificirt.
Er weiß selbst nicht recht, was er mit dem Worte Semilasso
machen soll. Es scheint ihm ein aus dem Lateinischen germanisirter
Name zu sein, wie vor hundert Jahren die Gelehrten ihre Namen
latinisirten; "oder," sagt er, "vielleicht
ist es auch eine Anspielung auf das Wort Lasso, welches in
Südamerika die Schlinge bedeutet, mit der man Pferde
und Rindvieh, auch Menschen und wilde Thiere zu fangen pflegt."
Das Wort Weltgang sei nach Analogie der Worte: Kirchgang und
Spaziergang zu verstehen. Traum und Wachen erkläre sich
von selbst, oder vielmehr gar nicht, was auf Eins herauskomme.
Mit dieser charakteristischen Nonchalance schließt das
kurze, vom 1sten Januar 1835 in Algier datirte Vorwort. Der
Weltgänger Semilasso läuft allerdings halb träumend,
halb wachend über den Erdboden hin. Spräche nicht
die vornehme Selbstgnügsamkeit aus jeder dritten Zeile,
die er schreibt, so könnte man manche seiner Äußerungen
für somnambül halten. Es ist aber in der That nur
das vornehme Ennui, das hier auf Reisen geht, sich schläfrig
herumdrückt, um der Langenweile zu entfliehen, aber diese,
wie ein erstgeborener Sohn Englands, der den Continent durchschlendert,
überall mit sich schleift. Es ist bei aller Wissenslust
doch viel Indifferentismus in dem verkappten Reisenden, und
nur dann und wann springt ein Funke des Witzes über die
verdrossene Lippe des zwischen Wachen und Träumen hinschwankenden
Weltgängers. Diese einzelnen Witzfunken, welche die oft
aschfarbene Langeweile der Reiseberichte durchbrechen, geben
dann die beliebten Alfresco-Geschichten, von denen sich auch
in diesem vorletzten Weltgange eine hübsche Reihe vorfindet,
obwohl nicht zu läugnen ist, daß die früheren
Papiere des Verstorbenen piquantere Züge boten. Der Weltgänger
Semilasso hat diesmal den unglücklichen Einfall, meistens
mit Hauderern durch Deutschland zu fahren, und mich dünkt,
sein Witz habe dadurch an Munterkeit verloren. Die Transportirung
auf Schnellposten und Eilwagen ist allerdings weder für
einen träumerischen, noch einen genusssüchtigen,
weder für den melancholischen, noch den witzlustigen
Reisenden das angemessene Mittel zur geistigen und leiblichen
Fortbewegung. Diese mercantile Eilfertigkeit hebt alle Gemüthlichkeit,
alle Romantik auf. Mit den Eisenbahnen wird aller humoristischer
Schlendrian aufhören, man wird auf Reisen nichts mehr
erleben, nichts mehr erlügen können, oder man müßte
denn eigens Societäten stiften, zur Ermunterung und Unterstützung
müßiggängerischer Reisenden. Solche Müßiggangsvereine
könnten die Romantik des Reiselebens, mit der es schlimm
steht, noch in Zukunft sichern. Allein mit Hauderern fährt
man auch nicht just romantisch; man müßte denn
aus Langerweile und Verzweiflung allerlei Grillen aushecken,
die wie romantische Hirngespinnste aussähen. Allein es
ist nicht rathsam, daß der Humorist sich einen Hauderer
dingt; der Humor muß zu Fuße laufen, der Witz
muß Sohlen abreißen, er muß hier tanzen,
dort springen, reißaus nehmen und con amore still liegen
können, ganz nach eigenem Bedürfniß. Alle
Gleichförmigkeit, es sei in Eile oder Langsamkeit, ist
der Tod des Witzes. Darum hat der Weltgänger nicht wohl
daran gethan, daß er einen Hauderer nahm und nicht die
Beine in die Hand.
Der Weltgang beginnt von Carlsbad nach Eger, Baireuth, Bamberg,
Würzburg und dann rascher nach Paris. Semilasso betrachtet
Deutschland, ohne daß er es sich selbst gesteht, wie
ein pays de cocague. Seine Berichte über deutsche Städte
haben den Charakter eines schläfrigen Müßigganges,
der, um nichts Solides berichten zu müssen, die Hauptpuncte
bei Seite liegen läßt. Und doch wäre der Verstorbene
gerade der Mann dazu, uns z.B. von München, das er absichtlich
nicht besucht, hübsche Skizzen zu liefern. Allein zu
wirklichen Reisebildern bringt es der Autor nicht. Einzelne
hübsche Züge gibt sein Besuch im Narrenhause zu
Baireuth, seine Schilderung der bamberger regatta auf der
Regnitz, und manche parodirende Kritik von schlechten Kirchenbildern
in Baiern. Der Weltgänger zieht wie ein schleichender
Iltis umher, um die kleinen mittelalterlichen Narrheiten Deutschlands
abzutödten. An großen Blicken fehlt es diesmal
ganz. Am meisten gefällt sich der Weltgänger, wenn
er sich von Stubenmädchen Moral predigen läßt.
Um sich metaphysisch zu stimmen, hat er den Anblick einer
Tuchnadel auf schönem Busen nöthig, wie das bei
der Frau von James-Rothschild der Fall ist. "Heute,"
so schreibt er aus Paris, "warf mich der Anblick ihrer
Tuchnadel in die Philosophie. Es war eine Schlange, die einen
Schmetterling festhält. Welch tiefsinniges Emblem! Gar
vielfach, ernst und scherzend, läßt es sich auslegen.
Mir bedeutet es: die Ewigkeit, welche mit der Unbeständigkeit
Eins ist, denn was ist die Ewigkeit anders, als Einheit im
ewigen Wechsel?"
Der Aufenthalt in Paris während des Spätsommers
1834 bot nicht viel des Interessanten dar. Die zahme Schilderung
von Louis Philipp's Hofe und Häuslichkeit ist gutmüthiger,
als man sie von einem Verstorbenen, der sich nur durch elektrischen
Witz wieder zu beleben pflegt, erwarten sollte. Die italienische
Oper war geschlossen. Von Heine erfahren wir höchst wenig,
von Börne nichts. Mad. Junot. Mad. Recamier, Frau von
Constant werden flüchtig berührt, ebenso Chateaubriand.
Etwas mehr erfahren wir von Sophie Gay. Interessant sind einige
Ankdoten von der Stael, und Cüstine's Worte über
Rahel.
Von Paris wendet sich der Weltgänger nach St. Quentin
und Lüttich. Eine Episode macht das Duell mit dem Obersten
C., das uns ausführlich erzählt wird. Dann wendet
sich Semilasso über Orleans und Tours nach dem südlichen
Frankreich. Ein von Reisenden wenig berührter Punct ist
das Schloß Chenonceaux, welches Franz I. für Diane
von Poitièrs erbauen ließ. Die Schilderung der
dortigen Gemälde ist sehr interessant, besonders die
daran geknüpfte Charakteristik des Herzog von Bendôme.
In Bordeaux besucht der Verfasser das Caveau im St. Michelthurme,
an dessen innern Wänden die vielen Mumien sitzen, welche
die Trockenheit und Wärme des Gewölbes am Verwesen
hinderte. Hier schwelgt der Weltgänger einige Minuten
in seiner Hamlet's-Schwermuth, der sich ganz hinzugeben der
buntgeschäftige Müssiggang seines Reiselebens selten
zuläßt. Bald darauf nimmt ihn der Tag mit seinen
winzigen Erlebnissen wieder in Anspruch, in seinem Gemüthe
macht sich wieder jene lordmäßige Zähigkeit
geltend, bei der es nicht recht zum Scherz und nicht recht
zur Trauer kommt. In Tarbes macht der Weltgänger Winterquartier
und amüsirt sich, soweit es seine Schläfrigkeit
und sein Zustand zwischen Traum und Wachen zulassen, mit den
schlauen und naiven Bearnerinnen, die recht gern jeden Handschuh,
den man ihnen hinwirft, aufnehmen. Er schildert sie uns mit
schönen feurigen Augen, schwarzem Haar, buschigen Augenbrauen,
angenehm klingenden Patois, aber schmutzigen Strümpfen
und schadhaften Pantoffeln. Der kleine Anflug von Schnurrbart,
den sie haben, ist so recht des Weltgängers Passion.
Allein etwas Erkleckliches will sich nicht ergeben, und man
kennt die mittägigen Französinnen schon genauer
durch Jenen, der seine Reiseabenteuer mit ihnen beschrieb,
ohne je eins davon erlebt oder das südliche Frankreich
überhaupt betreten zu haben. Ich meine Thümmel.
Sehr begierig dürfen wir auf die Schilderung sein, die
uns Semilasso künftig von den braunen Afrikanerinnen
in Marokko machen wird. Der nächsterscheinende Band des
Werkes wird jedoch noch vom südlichen Frankreich handeln.
Das ganze Werk wird sich nämlich noch weit hin spinnen
und die "privilegirte geheime Titulargesellschaft zur
Verbreitung unschuldiger Bücher in M - u," welche
sich als Herausgeber-Comité ankündigt, vermeldet
uns, daß der zweite Theil von Afrika, der dritte von
Asien und der vierte von Rußland, das man füglich
als einen Welttheil für sich betrachten könne, handeln
werde. Alles Heil dem Weltgänger auf seiner großen
Tour! Möchte die Sahara homöopathisch auf sein Gemüth
gewirkt haben, damit sich in ihm eine Sehnsucht regt nach
den frischen Oasen des Lebens, und sein innerer Mensch an
Elasticität gewinnt, um für Freude und Schmerz befähigter
zu werden. Vielleicht gaben ihm die braunen Muselfrauen eine
mehr rosenfarbene Laune, oder sind Ursache, daß es dem
Weltgänger einmal grün und gelb vor Augen wird.
Wenn nur seine aschfarbige Stimmung wechselt! Sie liegt ihm
wie ein Fluch im Herzen. Es ist der Fluch des civilisirten
Ennui der modernen vornehmen Welt, die sich gern mit dem demokratischen
Leben verbrüdern möchte, aber dich die Mesalliance
im Grunde scheut.
Semilasso hat sich zu guter Letzt als "Vergnügling"
den Publicum vorgeführt. In seinen "griechischen
Leiden" versichert er, um sich als ganz frei von den
Vorurtheilen seines Standes hinzustellen, er wolle lieber
der Sohn eines reichen, jüdischen oder gleichviel christlichen
Banquiers sein, als ein alter Edelmann. Inzwischen darf dies
blasirte Bekenntniß nicht verhindern, in den sonstigen
Glaubensbekenntnissen des Verstorbenen den alten Edelmann
zu erkennen. Dieser alte Edelmann offenbart sich in seiner
Überzeugung vom Heil der Despotie und der Sclaverei.
Da unsere dermalige Civilisation einmal auf barbarischen Elementen
beruhe, sagt er, so seien "geregelte Despotie und selbst
Sclaverei die besten Mittel, um eine Nation, sowie jedes Regiment
groß, wirksam und formidable zu machen." Die größten
Epochen in der Geschichte seien immer solche, wo Despotie
und Sclaverei am schroffsten hervortreten. Ganz gefehlt hätten
uns beide bis jetzt, Gott Lob! noch nie. In Deutschland schienen
sie jetzt am wenigsten vorhanden zu sein, weshalb dies auch
die unbedeutendste poltische Rolle spiele, in den Vereinigten
Staaten Amerika's am meisten, weil es dort noch wirkliche
Sclaverei gebe. (S. südöstl. Bildersaal Th. 3 S.
435fl.) -
In diese Sackgasse verlaufen sich nun die Gedanken des Verstorbenen,
mit diesem Bekenntniß scheint die Mission dieses Schriftstellers
zu enden. Es sind dies Ansichten des alten Edelmanns, den
die französische Revolution aus dem Lande jagte; es klingt
wie die paradoxe Verzweiflung der Refugiés, wie die
düstere Gemeinheit der altfranzösischen Vergnüglinge,
welche Frankreich auswarf, als es Athen schöpfte. In
Deutschland werden diese Glaubensbekenntnisse, wie immer,
erst nachträglich Literatur. Es ist gut, daß sie
Literatur geworden sind; die deutsche Nation erfährt
dadurch, woran sie sich zu halten hat, und kann solche trüben
Stoffe ausstoßen.
Quelle: Ferdinand Gustav Kühne: Portraits und Silhouetten.
2. Tle. Hannover 1843. I, S. 200-206.