Hermann (Ludwig Heinrich)
Fürst von Pückler-Muskau

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Sonntag, 20. Dezember 1998

Wie ein unbeschriebenes Blatt

Prince Pickle und die Sklavin: Fürst Pückler
kaufte Machbuba in Ägypten / Liebesgeschichten, erzählt von Rolf Schneider

Mit dem Namen Fürst Pückler verbinden die meisten eine Schnitte Halbgefrorenes, komponiert aus Vanille-, Schokoladen- und Erdbeereis. Manche wissen, daß der Mann als Gartengestalter im sächsischen Bad Muskau und in Branitz bei Cottbus bedeutende Parkanlagen schuf. Daß er daneben ein vorzüglicher Prosaschriftsteller war und ein Weltenbummler von zu Zeiten europäischer Prominenz, ist kaum noch jeman-dem geläufig.

Hermann Ludwig Heinrich von Pückler-Muskau wurde 1785 geboren, als das Kind schwerreicher und miteinander völlig verzankter Eltern, die sich später scheiden lie-ßen. Zur Erziehung kam er unter anderen zu den Herrnhutern, deren radikale Frömmigkeit bei ihm genau das Gegenteil bewirkte, nämlich einen lebenslangen Hang zu ausschweifendem Genuß. Er wurde danach von Hauslehrern unterrichtet, studierte ein wenig die Rechte und begann eine Offizierslaufbahn in der sächsischen Armee.

Als er fünfundzwanzig war, starb sein Vater; er wurde Besitzer von Ländereien, die eine Ausdehnung von 550 Quadratkilometern hatten und zu denen eine Stadt, 45 Dörfer, 20 Pachthöfe, außerdem Mühlen, Wälder, Fabriken und Mineralquellen gehörten. Er war damit einer der reichsten Männer in Deutschland: auf dem Papier, denn seine Besitzungen waren schwer verschuldet, vornehmlich durch ihn selbst, da er als Student und Offizier das Geld mit vollen Händen ausgegeben hatte. Zudem gab es Mißernten, und es herrschte Krieg: Napoleons Truppen durchzogen das Land, was alles zusam-men Pücklers Revenuen fast zum Erliegen brachte und seine Schulden anwachsen ließ.

Für junge Leute aus vornehmer Familie, die auf Geldsuche waren, blieb der übliche Weg einer Brautschau im Milieu der Begüterten. Auch Pückler verfuhr so. Seine Wahl fiel auf Lucie, Tochter des preußischen Staatskanzlers von Hardenberg; ihre noch be-stehende Ehe mit dem Reichsgrafen von Pappenheim existierte nur mehr formell und sollte bald geschieden werden.

Als Pückler um Lucie warb, fuhr er vor ihrem Berliner Haus in einer von vier zahmen Hirschen gezogenen Kutsche vor; dies erregte ein außerordentliches Aufsehen und wurde gleich in einer Zeichnung festgehalten. Lucie ließ sich beeindrucken und gab ihr Jawort.

Sie war neun Jahre älter als Pückler. In ihrer Jugend galt sie als attraktiv, jetzt war sie etwas füllig geworden.

Sie hatte zwei fast erwachsene Töchter, von denen eine, Helmine, die erotische Be-gehrlichkeit Pücklers so sehr erregte, daß er seiner Lucie allen Ernstes eine Ehe zu dritt vorschlug, worauf sie aber nicht einging. Sein Schwiegervater versorgte ihn mit dem Fürstentitel.

Dabei ließ Pückler keinerlei Zweifel daran, daß seine Verbindung mit Lucie nichts weniger denn eine Liebesheirat war; er hatte sich völlige sexuelle Freiheit ausbedun-gen, was sie ihm aufseufzend gewährte. Zum Dank schrieb er ihr zahllose Briefe, in denen er ausführlich alle seine Abenteuer dartat, auch die erotischen. Er nannte sie Schnucke.

Er hatte drei überaus kostspielige Leidenschaften: das Reisen, das Anlegen von Park-gärten und die Frauen.

Gereist war er schon als junger Mensch, quer durch Deutschland, quer durch die Schweiz und bis nach Italien; er war auch in Weimar gewesen und hatte den für Gebildete obligaten Besuch bei Goethe absolviert, mit dem er sich über dessen Parkanlage an der Ilm unterhielt. Spätestens hier festigte sich seine exzessive Leidenschaft für die Gartengestaltung nach englischem Vorbild.

In Muskau kündigt er seinen Pächtern und ließ für sehr viel Geld einen Landschafts-park anlegen. Trotz seiner Heirat mit der Schnucke waren seine Schulden nicht we-sentlich geringer geworden, denn die geborene Hardenberg verhielt sich in Gelddingen ebenso verschwenderisch wie ihr Mann. Um dieser mißlichen Situation abzuhelfen, hatte Lucie einen bizarren Einfall: Die Pücklers sollten ihre Ehe, die ohnehin bloß auf dem Papier bestand, auflösen lassen, auf daß Pückler frei würde für eine andere Hoch-zeit mit einer begüterten Frau. Die Scheidung wurde vollzogen, und Pückler brach auf nach England, das fortgeschrittenste Land des Kontinents, wo, so meinte er, besonders stattliche Vermögen zu holen waren.

Er blieb zwei Jahre. Er bereiste alle Regionen südlich des Tweed, außerdem Irland. Er hatte ungezählte Affären, darunter eine mit der Sängerin Henriette Sonntag, doch eine millionenschwere Braut fand er nicht. In den britischen Salons brachte er es als Prince Pickle (Essiggurke) zu einer gewissen Berühmtheit; Charles Dickens porträtierte ihn in seinen "Pickwickiern". Seiner Schnucke sandte er viele Briefe.

Als er 1829 zurückkehrte, waren seine Schulden abermals gewachsen. Da hatte die Schnucke den Einfall, Pücklers Reisebriefe, gereinigt um die darin reichlich ausgebrei-teten Erotica, zu einem Buche zusammenzufassen. Der Band kam heraus und wurde zu einem außerordentlichen Erfolg, Übersetzungen erschienen bis hin nach Amerika. Pückler ließ weitere Bände Reisebilder und Feuilletons drucken. Die eintreffenden Honorare erleichterten ihm seine desaströse wirtschaftliche Situation.

Er brach zu neuen Reisen auf. Er fuhr nach Nordafrika und Griechenland. Die damals angesehenste Tageszeitung in Deutschland, die "Augsburger Allgemeine", für die auch Heinrich Heine schrieb, beschäftigte ihn als ihren Korrespondenten. Der türkische Vizekönig Ägyptens, Mehmet Ali, autokratischer Herrscher des Landes am Nil, lud ihn zu einem Besuch ein, und Pückler leistete Folge. Anfang Januar 1837 erreichte er den Hafen von Alexandria.

Er reiste in großer Begleitung, mit einem Arzt, einem Dolmetscher, einem Sekretär, einem Kammerdiener und einem Pagen; die Kosten für alles trug Mehemed Ali, das Reiseziel lautete Oberägypten. Um bei alledem die Freuden der Liebe nicht entbehren zu müssen, begab sich Pückler auf den Sklavenmarkt von Kairo, um sich eine Bettgenossin zu kaufen. "Woher des Himmels Namen", schwärmte er, "haben diese Mädchen, die barfuß gehen und nie Handschuhe tragen, diese zarten, gleich einem Bildhauermodell geformten Hände und Füße; sie, denen nie ein Schnürleib nahekam, den schönsten und festestes Busen; solche Perlzähne ohne Bürste noch Zahnpulver, und obgleich meistens nackt den brennenden Sonnenstrahlen ausgesetzt, doch eine Haut von Atlas, der keine europäische gleichkommt und deren dunkle Kupferfarbe, gleich einem reinen Spiegel, auch nicht durch das kleinste Fleckchen verunstaltet wird?"

Er erstand für eine "ziemlich ansehnliche Summe" eine junge Abessinierin. "Sie war, als ich sie kaufte, zehn Jahre alt, aber schon körperlich vollkommen und üppig ausge-bildet. Alle Sinne schon in der Blüte, der Geist aber noch wie ein unbeschriebenes Blatt." Er nahm das Mädchen mit auf das Schiff, das ihn den Nil hinanschipperte. Als die erste Etappe der Reise hinter ihm lag, wußte er, daß er sich rettungslos verliebt hat-te.

Sie trug den Namen Ajiamé. Anfangs mußte er sich mit ihr über einen Dolmetscher verständigen. Dann brachte er ihr das Italienische bei, was sie ziemlich rasch erlernte, worauf er sich mit ihr ohne fremde Hilfe unterhalten konnte. Er erfuhr, daß sie eigent-lich Machbuba hieß, was "die Goldene" bedeutete und sich offenbar auf die Farbe ih-rer Haut bezog, die, laut Pückler "einem über Goldplatten ausgebreiteten dunklen Sei-denflor" glich. Sie stammte aus der äthiopischen Provinz Guma, aus der Familie eines Hofbeamten, war im Krieg verschleppt und auf den Sklavenmarkt gebracht worden.

Pücklers Aufenthalt zog sich hin. Er bereiste Ägypten, dann Palästina. Machbuba blieb immer bei ihm, in Mameluckenkleidung, sie erwies sich als eine vorzügliche Reiterin. Gemeinsam überstanden sie Unfälle und Krankheiten. Ihre Reise ging weiter nach Sy-rien und schließlich nach Konstantinopel. Nach fast drei Jahren kehrte der Fürst dann nach Mitteleuropa zurück, in seiner Begleitung waren mehrere Pferde und seine äthio-pische Geliebte Machbuba. Er hatte in all dieser Zeit getreulich lange Briefe an seine Schnucke geschrieben. Er hatte ihr vorsichtig von Machbuba erzählt und mitgeteilt, er gedenke die schöne Sklavin nach Deutschland mitzubringen. Seine geschiedene Frau entsetzte sich darüber; sie hatte bisher alle Amouren ihres Ex-Mannes geduldet, die Farbige aus Äthiopien war ihr zuviel: "Sieh es nicht als prüde Widerspenstigkeit mei-nerseits an, wenn ich die türkische Sitte nicht mit mir vereinbar finde." Er ließ sich von seinem Entschlusse nicht abbringen: "Ich habe mich so an sie gewöhnt."

Pückler war auf der Donau bis Budapest gereist und fuhr weiter bis nach Wien. Er gab Machbuba als sein Adoptivkind aus; es "glaubte kein Mensch dieses Märchen, aber alle taten so, um ihre Neugierde befriedigen zu können. Minister und Große luden sie mit mir zur Tafel, die vornehmsten Damen besuchten sie im Hotel, wo ich wohnte, unter denen die Oberhofmeisterin der Erzherzogin Palatin gar keinen Anstoß daran nahm, daß in Machbubas Schlafzimmer, wohin sie aus Versehen geführt wurde, zwei Betten standen."

Sie blieben für mehrere Wochen in Österreich, dann wollten sie nach Muskau reisen. Da erkrankte Machbuba. Die Sache erwies sich als äußerst hartnäckig, das Mädchen magerte zusehends ab, und nicht einmal der Leibarzt des Staatskanzlers Metternich konnte ihr helfen. "Die arme Machbuba ist wie ein Skelett", schrieb Pückler, "und ich fürchte sehr für sie." Im September 1840 langte er mit ihr in Muskau an, wo sie trotz aller medizinischen Bemühungen immer noch weiter verfiel. Die Schnucke, die nur immer abfällig von der "todkranken Mätresse des Fürsten" sprach, rief Pückler nach Berlin. Er leistete Folge, während in seinem sächsischen Schloß seine äthiopische Freundin langsam zugrunde ging. Der behandelnde Arzt schickte ihm ausführliche Krankenberichte, die ihn sonderbar wenig zu berühren schienen, er selbst wechselte mit der Geliebten ein paar Briefe in italienischer Sprache.

Ende Oktober mußte der Arzt dann rapportieren: "Gestern noch versuchte sie an Euer Durchlaucht zu schreiben, und als die Schwäche sie an der Fortsetzung hinderte, sagte sie: Scrivete un buon, buon addio al mio caro Principe. Sie starb ruhig oder ist viel-mehr in ruhigen Atemzügen eingeschlafen. Gott lasse sie sanft ruhen."

Erst da begann Pückler den Verlust zu begreifen, und erging sich in wortreicher Trau-er: "Hätte ich meiner ahnenden Besorgnis gefolgt, so wäre ich zur rechten Zeit dagewesen - Gott hat es nicht gewollt! Und mir bleibt der bittere Schmerz und eine Sehn-sucht, welche die Zeit schwächen, aber nie mehr befriedigen kann."

Er fuhr nach Muskau, setzte sich an Machbubas Totenbett und klagte vor sich hin. Dann ließ er sie im Park von Muskau beisetzen, an ihrem Grabe vergoß er "im Schein des Mondes viele heiße Tränen".

Er trauerte sehr ausführlich. Er betrieb einen förmlichen Totenkult um Machbuba, ganz nach dem Stil der Schauerromantik, in deren literarischem Dunstkreis er groß geworden war. Schloß und Park Muskau mußte er später verkaufen, um endlich seine Schulden bezahlen zu können; er zog in seinen anderen Besitz Branitz und nahm das Bildnis der toten Geliebten mit. Auch in Branitz legte er einen Park an, schrieb weiter-hin Bücher und hatte bald wieder allerlei leidenschaftliche Amouren.

Er wurde 86 Jahre alt. Er starb wenige Wochen nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches im Schloß von Versailles. Er ließ sich beisetzen in einem eigens errichteten Totenhügel des Branitzer Parks. Machbubas Bildnis hängt heute noch im dorti-gen Schloß. Sie trägt einen Turban, einen Mameluckenanzug und sieht sonderbar and-rogyn aus.

© Berliner Morgenpost 1998


 

 
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